Piazza di Como

Eine Reise durch die Zeit an der Piazza di Como

In “Eine gewisse Idee von Europa”, einem besonders geistreichen und provokativen Buch, behauptet der französische Essayist George Steiner, dass Europa wie seine Kaffeehäuser ist. “Vom Lokal in Lissabon, das Fernando Pessoa so liebte, bis hin zu den Cafés in Odessa… von den Kaffeehäusern in Kopenhagen, über jene, an denen Kierkegaard in Gedanken versunken vorbei ging, bis hin zu jenen in Palermo.” Aber Europa, so der Gelehrte weiter, ist auch der Kontinent der Plätze, an denen oft die schönsten Cafés der Welt zu finden sind – fügen wir hinzu. Der Beweis dafür sind die kleinen Ortschaften am Comer See. Wer auch immer sie besucht, kann entdecken, dass ihr Herz an der Piazza schlägt, dem Ort der Begegnung, des geselligen Zusammenseins, der Anerkennung und des Austauschs.
Aber in Como, dessen ersten menschliche Ansiedlungen auf das 13. Jahrhundert vor Christus zurückgehen, erreicht die Idee der Piazza ihren triumphalen Höhepunkt. Die Piazza del Duomo liegt im Zentrum einer der außergewöhnlichsten Fußgängerinseln Italiens, einem großen Areal, wo sich abgesehen vom Dom prächtige Monumente wie Broletto medievale, das neoklassische Teatro Sociale und der Palazzo Terragni, ein Meisterwerk der rationalistischen Architektur des frühen 20. Jahrhunderts befinden. Ein Bereich am See, der dem Besucher das unbezahlbare Gefühl bietet, in wenigen hundert Metern von der Gotik zum Heute zu laufen.
Dieselbe Kurzfassung erhält man, wenn man den Dom betritt. Der Besuch des Gotteshauses ist nämlich eine Reise durch die künstlerische und kulturelle Geschichte der Stadt, ein wahrhaftiges Erlebnis, das viele andere große Monumente Italiens bieten. Eine Reise in die Kunstgeschichte, die bei den Überresten aus romanischer Zeit beginnt, sich mit dem gotischen Zeugnis der Fassade entwickelt, mit seinen Malereien das Zeitalter der Renaissance streift und uns schließlich dank der Verzierungen und der Kuppel in das Barock und das 18. Jahrhundert führt.
Dies ist wohl der beste Grund, um den Dom als moderner Reisender zu besuchen: Zwischen seinen Schiffen zu wandeln, um das Schauspiel des Wechsels zwischen den Stilen zu beobachten. So schreiben die Experten, die dieses wunderbare Beispiel für die italienische Interpretation der Gotik kommentieren: “Die vertikale Spannung des Gebäudes wird von der Ausdehnung der horizontalen Räume gemildert, und die Wirkung gipfelt – im Chorraum – im rationalen Maß der Elemente aus der Renaissance.”. Hier findet das Wunder des Übergangs von der konstruktiven Sensibilität der Gotik zum architektonischen Logos der Renaissance statt. Zeit, Stile und Geschmäcker verschmelzen miteinander. Man muss kein Experte sein, um den Glanz dieses Übergangs wahrzunehmen, den die Feinheit und der Geschmack der Arbeiten in den darauffolgenden Jahrhunderten zu verstehen und zu respektieren wussten.
Wenn man aus dem Dom herauskommt, kehrt man zur Piazza mit ihren Geschäften und Läden, ihren Cafés im Freien zurück, die dem Reisenden oder dem neugierigen Besucher das magische Erlebnis der Kontemplation bescheren, wie Baudelaire das sah, als er den Begriff Flaneur erfand. Der noble Herr, der durch die Straßen der Stadt streift und die Emotionen genießt, die die Landschaft und die vom Menschen erschaffenen Architekturen hervorzurufen vermögen. Denjenigen, die sie verstehen, wohlgemerkt. Dem modernen Reisenden, der am Comer See die Magie entdeckt, sich rundum zu Hause zu fühlen.

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